Lym Moreno - Papierwelten und Menschentiere

Im Innenhof des WUK gibt es ein farbenfrohes Street-Art-Kunstwerk signiert mit „Mosta“. Heute, auf dem Weg zu unserer Dozentin Lym Moreno sehe ich es mir näher an, denn Mosta ist Lym Moreno und dieses Kunstwerk (s. Abb. 5) stammt von ihr. Die Künstlerin, die aus Caracas, Venezuela kommt, empfängt mich herzlich. Ihr Atelier hat den Charme alter Fabrikarchitektur; es ist hoch und hell, die Außenwand ist fast gänzlich von einem Fenster eingenommen – ein fröhlicher, übersichtlicher und gemütlicher Ort des Schaffens.

Der besondere Spielplatz

Lym Moreno stammt aus einer Musikerfamilie und war als Kind keineswegs mit Zeichnen beschäftigt – ihr Interesse galt der Musik, der Performance und dem Theater. Doch auch ihr ehemaliger „Spielplatz“, die Druckerei alten Stils ihres Großvaters, beeinflusste sie. Dort hat sie gebastelt, geschnitten, geklebt und Papier-Modelle angefertigt. Wenn es viele Aufträge gab, hat die ganze Familie mitgearbeitet. Als dann einer ihrer Freunde Grafikdesign studierte, war sie von der Welt der visuellen Sprache begeistert. Später ging sie selbst in diese Richtung, indem sie sich zuerst dem Studium der Druckgrafik und dann der Illustration widmete. Bei uns an der Zeichenfabrik unterrichtet Lym Moreno Paper Cut-Out & Collage – eine Verbindung von Techniken, die für ihr Werk charakteristisch ist.

im Atelier

Tiermenschen – Menschentiere

Die Künstlerin arbeitet großteils figurativ – ihre Charaktere sind entweder Tiere oder Menschen und sehr oft eine Mischung aus beiden. Obwohl die Figuren häufig Phantasiewesen sind, haben sie nichts Surreales – sie wirken präsent und lebensnah. Lym arbeitet mit einer reduzierten Formensprache, das zeigt sich auch an den illustrativen Gesichtern ihrer Figuren: darin gibt es prägnante Nasen, waagrechte Schlitze als Augen und einen ovalen Mund. Lym Morenos Stil ist unkompliziert, plakativ und aussagekräftig – ein Eindruck, der durch die bunten, strahlenden Farben noch verstärkt wird: »Die Explosion der Farben ist in meiner Heimat etwas sehr Normales, das habe ich mitgebracht.«* Die Handschrift der Künstlerin ist auch an typischen Texturen, welche die Oberflächen strukturieren, zu erkennen: so erhalten die langen, schmalen Gliedmaßen ihrer Figuren häufig ein Ringmuster, das Fell der Hybridwesen ist gestrichelt, andere Oberflächen werden wiederum mit ornamentalen Mustern belegt oder gestempelt.

Die Charaktere, mit denen die Künstlerin arbeitet, haben sich in einem Prozess von zehn Jahren entwickelt. Zu Beginn war ihre Kunst intimer – die Figuren waren meist Frauen, oft mit wehenden roten Haaren. Nachdem diese feminine Welt zu einer Art Label geworden war, hat Lym viel experimentiert: faszinierend fand sie vor allem die Hybride zwischen Mensch und Tier. Es kam zu vogelartigen Wesen und irgendwann ist dann das katzenartige Tier – das für Lym charakteristisch ist – erschienen. Diese Figur mit spitzen Ohren und maskenhaftem Gesicht verkörpert zugleich Mensch und Tier: Das Tier verhält sich menschlich bzw. erhält der Mensch die Gestalt eines Tiers. Dieser Mix ist jedoch nicht die Summe der Eigenschaften beider, sondern etwas Eigenes: Lym macht daraus einen Archetyp – ein spezielles Wesen, das quer durch ihre Arbeit führt. Anders als in Ritualen, bei denen Tiermasken tragende Menschen die Eigenschaften des jeweiligen Tiers annehmen, verhalten sich die Tiere bei Lym menschlich. Auf diese Weise hinterfragt die Künstlerin menschliche Handlungsweisen, die dadurch paradox und humorvoll erscheinen.

Hybridwesen
Lym Moreno, Hybridwesen

Es ist normal, verrückt zu sein

Was machen Emotionen mit uns und wie stellen sie sich dar? Lym Moreno geht anhand der Tierwesen emotionalen Störungen, dem Verrückt-Sein, dem Krankhaften und der künstlerischen Reflexion dessen nach: »Wir haben alle verdrängte emotionale Verletzungen. Wir sind alle mehr oder weniger verrückt. Viele haben es scheinbar unter Kontrolle – wie aber äußert es sich, wenn es rauskommt, weil es raus muss?«* Psychische Erkrankungen und das Arbeiten damit interessieren Lym als Sozialprojekt und auch im Zusammenhang mit Kunst, wo Irrationalität bzw. eine gewisse Verrücktheit oft als „künstlerisch“ angesehen werden. Die Körpersprache und das Verhalten von Lyms Hybrid-Figuren drücken menschliches Verrückt-Sein aus. Das heißt, die Tiere nehmen menschlich-verrückte Eigenschaften an. Da sie aber im menschlichen Sinne nicht verrückt sein können, wirkt diese Verrücktheit paradox – sie wird sichtbarer, auffälliger, gleichzeitig aber auch entschärft. Sehen wir unsere Verrücktheit an Tieren, ist sie komisch und humorvoll. „Animale Emotionale“ bringt dies in einer Serie von Szenen zu Papier. Dazu wurden Papierfiguren, die jeweils eine Emotion zeigen, in Fenster installiert.

Den Me-too-Effekt des Verrücktseins findet Lym besonders interessant: »Du scheinst alles unter Kontrolle zu haben – aber ich nicht!«* Traut man sich über Probleme zu sprechen, anstatt sie zu verstecken, dann werden auch die anderen offener. Als etwas Gemeinsames verliert die Verrücktheit ihre Schwere und kann spaßig und bunt werden. Und es ist diese gemeinsame, nicht depressive, sondern heitere Verrücktheit, die Lym in ihrer Arbeit reflektiert.

Mit Messer und Schere

Obwohl Lym Moreno – die seit 2010 in Wien lebt – ab und zu ihrer Heimat vermisst, ist sie gerne hier: »In Venezuela gibt es keine Jahreszeiten. Der erste Winter – Schnee – das war eine tolle Erfahrung.«* Körperliches Aktivsein – laufen, Fitness, Yoga, boxen und Rad fahren auch bei minus 10 Grad – ist für Lym das Mittel gegen Kälte und Sonnenmangel. Dies zeigt sie auch anhand ihren Illustrationen, wo es häufig um Sport geht – so beispielsweise in "Boxeadoras".

Meist kommt bei Lym Moreno Mixed-Media zum Einsatz: Zeichnungen, Siebdruck, Holzschnitt, Paper Cut-out & Collage. Letzteres unterrichtet sie auch an der Zeichenfabrik: Im Kurs eröffnet Lym zuerst die Möglichkeiten des Paper Cut-Outs – die Methoden Formen aus Papier zu schneiden. Die zweite Herangehensweise ist die klassische Collage mit Bildern. Von jeder Technik erarbeiten die Teilnehmer eine Studie. Dann wird beides verbunden, wodurch sich erstaunliche Möglichkeiten ergeben. Daraus wird die künstlerische Idee als der eigentliche Kern-Prozess der Arbeit geboren.
Manchmal kann Lyms Design auch schweben. Dieser Effekt wird durch Schatten erreicht, die durch nicht festgeklebtes Papier entstehen, oder es wird etwas zwischen Papier und Untergrund gelegt. Um ihre kunstvoll feingeschnittenen Arbeiten anzufertigen, verwendet Lym keine „Fancy Tools“, sondern nur Messer und Schere – durch das langjährige Arbeiten weiß sie diese einfachen Mittel zielführend einzusetzen.

Bei der Rahmentechnik (Dio-Siete-Rama) steigert Lym den 3d-Effekt weiter: In Kästchen mit Deckel befinden sich „Bühnenbilder“, die ganze Szenen wiedergeben. Eines ihrer ersten Ausstellungsprojekte war eine Serie mit Ungeheuern und Fabeltieren; ihre heutigen Arbeiten sind eher von konzeptionellem Interesse. Das Nachstellen von Szenen ist auch typisch für Lyms Illustrationen, wo Hintergründe erstellt werden, die scheinbar eine Tiefe haben, wie z.B. Stadtlandschaften. Erinnert diese Technik an Bühnenbild und Theater, so arbeitet Lym manchmal auch tatsächlich dreidimensional: Seitdem sie in der großväterlichen Druckerei mit Papierskulpturen begonnen hat, ist die Faszination ungebrochen: »Das Herstellen einer Papierskulptur in Menschengröße würde mich interessieren – das wäre eine Herausforderung.«*

Dio-Siete-Rama
Lym Moreno, Dio-Siete-Rama, Ideas of devotion, loss and power

Schwarz auf Weiß

Bei ihrem jährlichen Kalender experimentiert Lym Moreno mit nicht-figurativen, stark reduzierten Formen – ein ästhetisches Interesse, das ihrem Stil etwas Abstraktes verleiht. Die Reduktion betrifft aber nicht nur die Formen, sondern auch die Farben: Die Künstlerin verwendet – so wie neuerdings auch für andere Arbeiten – Schwarz-Weiß. Zuerst wird eine Studie von Texturen (mittels Frottage, Collage, malen, zeichnen, Stempel) erstellt und anschließend mit den Formen experimentiert. Das Thema ist jedes Jahr ein anderes – heuer ging es Lym um die sichtbaren Strukturen des Papiers und den grafischen Eindruck.

Seit Kurzem steht auf einem Tisch in Lyms Atelier eine kleine Presse für Holzschnitte. Bis jetzt hat die Künstlerin meist eine japanische Technik verwendet, bei der mit einem flachen Stein gleichmäßig frottiert wird. Die verschiedensten Druckverfahren nehmen eine zentrale Rolle in Lyms Arbeit ein und seitdem sie mit einer befreundeten Textildesignerin Estudio Katu gegründet hat, druckt sie auch auf Stoff: Gemeinsam bieten sie Siebdruck-Workshops an.

Die Mentorin

Lym Moreno genießt es zu unterrichten. Obwohl die Leute meist kommen, um eine bestimmte Technik zu erlernen und unsere Dozentin diese gerne vermittelt, sind Techniken für sie nicht das Ausschlaggebende. Was sie interessiert, ist der schöpferische Faktor, der individuelle kreative Prozess: »Wenn du etwas gut kannst, bist du deshalb noch kein kreativer Mensch. Viele glauben, wenn sie nicht zeichnen können, sind sie nicht kreativ.«* Für Lym Moreno ist das Konzept wichtiger als das Medium; die Technik ist nicht an sich, sondern als Mittel zum Zweck bedeutend. Eine gute Idee kommt nicht über Nacht – sie muss entwickelt werden. »Ich bin eine Mentorin. Ich sage auch, wenn etwas nicht funktionieren wird.«* Den Arbeitsprozess begleiten, bedeutet für Lym Moreno einerseits Raum für Kreativität erschaffen; wenn jemand z.B. das Design erweitert, indem er Teile anbrennt und anschließend in Wasser taucht, ist das willkommen. Andererseits braucht es Anleitung; die Balance zwischen Zuviel und Zuwenig ist für Lym sehr wichtig: Oft ist eine Idee gut, aber zu schwach, dann braucht es noch etwas. Oft muss reduziert werden, um das Konzept nicht zu verwässern. Manchmal ist die Idee super, dann heißt es: halt, stopp, tu nichts mehr.

Fun

»Was ich auf der Straße mache, ist Fun; ich verbinde es nicht mit meiner künstlerischen Arbeit im Atelier.«* Die Straße ist der einzige Ort, wo Lym Moreno nicht grafisch arbeitet, sondern malt. Die Street Art-Szene unterscheidet sich von Graffiti vor allem dadurch, dass sie nicht einer bestimmten Kultur (wie Hip-Hop) zugehörig ist. Lym Moreno, die unter dem Kunstnamen „Mosta“ auftritt, malt seit 2003 an Wänden und ist damit mitten im Boom der Szene gelandet. In Wien gibt es viele Beispiele von Mosta – die am liebsten mit Dispersion und Pinsel arbeitet –, einige davon am Donaukanal. Und wenn dort ein buntes Skateboard mit der Abbildung eines Menschentiers vorbeirauscht, dann ist dieses vielleicht auch von Lym Moreno, die im Auftrag eines Wiener Skateboard-Labels eine wunderbare Serie entworfen hat. Die Künstlerin macht aber auch noch etwas anderes: »Ich sammle Plakate mit interessanten Formen auf der Straße. Im Atelier fertige ich daraus ein neues Plakat und hänge es draußen wieder auf.«* Die Plakate lassen ihre Herkunft offen – vielen sind sie ein Rätsel, nur wer Lym kennt, kann sie zuordnen.

Wall im WUK
Lym Moreno (zusammen mit Marie Vermont), Wall im WUK

Wer Mosta treffen und ihre Walls bewundern will, kann dies jederzeit in der Stadt tun – wer jedoch die Kunst der Papierwelten und Hybridwesen erlernen möchte, der ist herzlich willkommen bei Lym Moreno in der Zeichenfabrik.

*Zitate von Lym Moreno

Lym Morenos Website: http://www.conmostaza.com
Kurs von Lym an der Zeichenfabrik
Studio Katu: http://studiokatu.com