Kunst studieren? Design studieren? Strategische Überlegungen für Bewerbungen an Akademien und Kunstuniversitäten

Entscheidend für die Zulassung an einer Kunstuniversität oder Akademie ist, sich durch eine Bewerbung mit dezidiert persönlichem Profil von anderen BewerberInnen abzusetzen. Wir haben mit unserem Dozenten Jörg Jozwiak gesprochen und die wichtigsten Tipps für Euch zusammengefasst.

1. Gib Dir Zeit

Wer sich seit dem BE-Unterricht das erste Mal intensiv mit künstlerisch-gestalterischen Fragestellungen beschäftigt und keine explizit künstlerisch ausgerichtete Schule besucht hat, sollte auf jeden Fall den übernächsten Mappenabgabetermin und nicht den nächsten für eine Bewerbung ins Auge fassen. Einen überzeugenden und individuellen künstlerischen Ausdruck zu entwickeln – das heißt einen solchen, der in einem Bewerbungsverfahren eine Chance hat – braucht Zeit!

2. Welche Studienrichtungen / Fachklassen gibt es? Wer leitet die Fachklassen? Welche/r Professor/in ist für mich interessant?

Schritt 1: Internetrecherche. Versorge Dich mit allen Informationen zum Studium, die Dir die Internetseiten der Hochschulen bieten. Ergänzend, mache Dich mit den Fachklassen und den Interessen der ProfessorInnen vertraut.

Recherche „Die Angewandte“
Beispiel „Die Angewandte“ / Bildende Kunst, Screenshots: www.dieangewandte.at
Recherche „Die Bildende“
Beispiel „Die Bildende“ / Bildende Kunst, Screenshots: www.akbild.ac.at

Anschließend die Namen der relevanten ProfessorInnen in eine Suchmaschine eingeben und recherchieren, was für Kunst sie machen. Interviews lesen, sofern verfügbar. Oft ist es auch besonders hilfreich, die Namen als erstes in die Bildersuche oder bei Youtube einzugeben. Abbildungen von Arbeiten sagen sehr viel aus. Aber Achtung! Dies sind lediglich Anhaltspunkte. Gute ProfessorInnen unterstützen auch künstlerische Interessen und Ansätze, die nicht ihrer eigenen Arbeit ähneln. Nichtsdestoweniger ist es keine schlechte Idee zu schauen, mit wem es hinsichtlich der eigenen künstlerischen Ideen und Formensprache voraussichtlich Schnittmengen gibt – sowohl für die Bewerbung als auch für einen interessanten Austausch im Studium.

Schritt 2: Das Gespräch suchen. Setze Dich per Mail, telefonisch und/oder durch persönliches Hingehen mit der/den interessanten Klasse/n in Verbindung. Der erste Kontakt geht häufig über eine/n Assistentin/en der Professur, manchmal aber auch über den/die ProfessorIn selbst. Wenn beim ersten Mal nicht geantwortet wird, probier’s wieder. Freundlich aber hartnäckig sein! 😀 Ziel: Termin vereinbaren!

Schritt 3: Persönlicher Termin. Zeige eigene Arbeiten, bitte um Kritik und Anregungen. Hilfreiches mitschreiben – diese Infos sind sehr wertvoll!

Bei der Recherche gilt es herauszufinden:

  • Entsprechen die künstlerischen Interessen, die in der Klasse verfolgt werden, den eigenen?
  • Ist mir der/die Professor/in sympathisch, bzw. habe ich das Gefühl, dass die menschliche Ebene passen würde?
  • Kannst Du Tipps zur weiteren Arbeit an Deiner Mappe bekommen?

Hinweis: Ziehe nicht nur die Wiener Hochschulen in Betracht, wenn es Deine Lebensplanung zulässt. Oft ist die interessanteste Fachklasse nicht gerade hier. Eine Liste von Kunsthochschulen in Österreich, Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern findest Du bei Wikipedia: Liste von Hochschulen für Bildende Kunst. Für Design ist diese Seite auf bachelorstudies.de hilfreich.

3. Leitgedanke bei der Mappengestaltung

Ein guter Ausgangspunkt ist es, zu überlegen, welche Phänomene Dir in der Welt besonders auffallen und welche Themen Dich auch außerhalb der Kunst interessieren. Es lassen sich als Leitfragen andeuten:

  • Was berührt und bewegt Dich?
  • Wer bist Du?
  • Was heißt es, hier und heute zu leben?
  • Was beobachtest Du in Deinem Alltag?
  • Was willst du noch ergründen/erforschen?
  • Was kannst du dem Vorhandenen als Neues hinzufügen?
  • Was macht Dich ein bisschen „komisch“?
  • Welche Wagnisse und Experimente hast du schon vorzuweisen?

4. Strategien zur Themenfindung (Beispiele!)

Um mit einer Mappe zu überzeugen ist in erster Linie wichtig zu zeigen, dass Du eine interessante Person bist. Die GutachterInnen wollen „sehen wie Du siehst“ - nicht ob Du eine bestimmte Technik beherrschst (Achtung: Ausnahmen! In einigen Studiengängen sind bestimmte handwerkliche Fähigkeiten gefragt. Für Restaurierung, beispielsweise, solltest Du sehr gut naturalistisch zeichnen können. Ähnliches gilt für manche Fachhochschul-Studiengänge in Design und für Bewerbungen generell an einigen ausländischen Hochschulen. Erkundige Dich diesbezüglich rechtzeitig!).

Grundsätzlich gilt: Meide zu große Themen wie „die Emotionen“, „das Bild der Frau in der Werbung“, etc. Fokussiere das Thema. Verlasse Dich auf Beobachtungen aus Deinem Alltag und Deine persönlichen Interessen. Forsche, spiele und experimentiere! Die folgenden Strategien sind Empfehlungen für den EINSTIEG. Bitte beachte ihren exemplarischen Charakter und dass es auch andere, in Deinem Fall ggf. besser geeignete Ansätze geben kann, eine Mappe zu gestalten.

  1. Denke an ein kleines, bemerkenswertes Phänomen aus Deinem Alltag – etwas skurriles, interessantes; etwas, das der Wahrnehmung anderer entgeht oder das Du vielleicht kritikwürdig findest. Vielleicht sind es Fliegen, die unter Wohnzimmerlampen kreisen, Zigarettenkippen auf der Straße, Dinge die zwischen Bahngleisen liegen, „Landschaften“ aus zerwühltem Bettzeug am Morgen... Finde Dein eigenes Thema! Suche verschiedene Beispiele für das ausgewählte Phänomen und halte diese in Fotos, Skizzen, Videos und Notizen/Texten fest.
  2. Wähle ein beliebiges Motiv, wie etwa einen Gegenstand oder ein Körperteil. Repräsentiere das Motiv mit Materialien, die nicht zu den klassischen Medien der Kunst gehören (keine Stifte, keine Pinsel, kein Ton, keine Fotos, etc...). Verwende Material, das Du im Mist, in der Natur, im Baumarkt im Supermarkt, etc. findest. Stelle Dir dabei Fragen wie: „Welches Material passt zu dem Thema/Motiv?“, „Wie wird mein Thema/Motiv wohl wahrgenommen, wenn es in einem bestimmten Material (oder Kombination aus Materialien) (re-)präsentiert wird? Wie verändert das Material die Sicht auf das Thema/Motiv?“
  3. Wähle ein beliebiges Motiv (wie etwa einen Gegenstand oder ein Körperteil) und „porträtiere“ dieses so, wie man es bisher noch nicht gesehen hat oder sogar so, dass es in der Darstellung scheinbar wie etwas anderes wirkt. Wähle dafür ungewöhnliche Ausschnitte, Detailansichten, Betrachtungsperspektiven und Beleuchtungen. Benutze zur Darstellung zunächst Fotos, dann Zeichnungen und später vielleicht weitere Medien. Schaffe so eine neue Sicht auf ein Ding.
  4. Schaffe ein kleines, wundersames Phänomen im Alltag / öffentlichen Raum. Vielleicht bringt Dich eine Google(bild)-Suche nach den Begriffen Interventionskunst oder Intervention art auf Ideen.

5. Tendenziell zu vermeiden

Häufig gesehen und oft problematisch für Bewerbungsmappen:

  • Surrealismus, Gothic- & Fantasy-Motive
  • Akte, Skelette, Totenschädel, Turnschuhe, Zwiebeln als Zeichenmotive (siehe aber mögliche Ausnahmen unter Pkt. 4)
  • Zeichnungen von Muskelhelden, depressiven oder melancholischen Mädchengestalten, Fabelwesen. Besonders schwierig: Figuren/Menschen mit dekorativen, surrealen oder mangaartigen Elementen wenn ohne konkrete Funktion (eine solche wäre ihr Auftauchen in einem Comic, Plakat, Storyboard oder dergleichen)
  • Reine Ornamente
  • Portraits (hierbei gibt es allerdings einige Ausnahmen)

Für den Bereich Bildende Kunst vermeide tendenziell alles was Du folgendermaßen beschreiben würdest:

  • „Ich wollte ... symbolisieren“
  • „Ich wollte Gefühle ausdrücken“
  • „Ich wollte ein schönes Bild malen“
  • „Ich wollte etwas phantasievolles malen“

6. Zeichnen, fotografieren, sammeln

Zeichnen - der Klassiker: Es ist schon lange nicht mehr gefragt, eine Auswahl naturalistischer Zeichnungen der klassischen Sujets – Akt, Portrait, Landschaft, Stillleben, Architektur – vorzuweisen, um an eine Kunsthochschule aufgenommen zu werden. Trotzdem lässt sich durch gute Zeichnungen nach wie vor punkten und in vielen Fächern (insbes. Design und Architektur) ist die Demonstration entsprechender Fähigkeiten weiterhin von großer Wichtigkeit. Achte auch hier darauf, Motive, Ausschnitte und Perspektiven zu wählen, die Dich interessieren!

Du wirst Dich für die meisten Fächer mit weiteren Techniken und Ausdrucksformen beschäftigen und vielleicht sind Zeichnungen schließlich sogar nur ein verhältnismäßig kleiner Teil Deiner Bewerbung. Trotzdem ist ihr Vorhandensein eine Konstante in vielen Bewerbungsmappen.

Tipp: Besorge Dir ein kleines Skizzenbuch (Format A6 - A4) für unterwegs. Mache Zeichnungen von Dingen, Menschen und Szenen wenn Du auf den Bus wartest, einen Ausflug machst, etc. Oft reichen ein paar Striche. Wenn Du mehr Zeit und Material griffbereit hast, arbeite an größeren Formaten und nimm Dir gegebenenfalls mehr Zeit für die Zeichnungen. Aber nochmals: Zeichnerische Fähigkeiten sind keine Voraussetzung für ein künstlerisches Studium per se; also keine Sorge, wenn dies nicht Deine Stärke ist.

Fotografieren: Die Kamera im Handy oder ein Fotoapparat sind großartige Werkzeuge um im Alltag schnell etwas zu dokumentieren. Wenn Du denkst, „das sieht interessant aus“ oder „das könnte ich vielleicht gebrauchen“ (als Erinnerung, als Inspiration zum Malen, als Form zum nachbauen, als selbstständige fotografische Arbeit, etc.), mach ein Foto!

Tipp: Besorge Dir eine Pinnwand für zu Hause. Diese kann gar nicht groß genug sein (im Baumarkt bekommst Du Weichfaserplatten, die sich gut eignen, preisgünstig sind und große Formate zulassen). Hier kannst Du alles möglich sammeln, gruppieren, arrangieren und auf Dich wirken lassen: Eigene Zeichnungen und Fotos aber auch Zeitschriftenausschnitte und Gedanken in Textform.

7. Sei informiert

Tage der offenen Tür. Besuche öffentliche Veranstaltungen der Hochschulen, insbes. die Rundgänge (Jahresausstellungen der Studierenden). Versuche mit Studierenden ins Gespräch zu kommen.

Ausstellungen in Wien. Sieh Dir Ausstellungen zeitgenössischer Kunst (Design, Architektur...) an. Es ist sehr gut, auf dem Laufenden zu sein, zu wissen, was KünstlerInnen heute machen und was in Galerien und Museen gezeigt wird: 21er-Haus, Sezession, Mumok, Kunsthalle Exnergasse, etc. Eine gute Quelle um regelmäßig zu erfahren, was in Wien läuft ist der eSeL-Kalender (https://esel.at/termine)

Weltweit. Im Präsenzbestand der Bibliotheken der Wiener Kunsthochschulen findest Du Zeitschriften (deutsch und englischsprachig) aus den Bereichen Kunst, Design und Architektur. Diese kannst Du ohne NutzerInnenausweis vor Ort ansehen. Das sind die besten Quellen um zu erfahren, womit KünstlerInnen aktuell erfolgreich sind. Für den Bereich Bildende Kunst sind zum Beispiel empfehlenswert: Kunstforum, Artforum, Frieze, Flash Art und Leonardo. Du findest am selben Ort aber auch Zeitschriften für Design und Architektur.
Für alle, die ein Studium der Bildenden Kunst anstreben: Richte Dir https://www.contemporaryartdaily.com als Startseite Deines Webbrowsers ein; für alle, die Architektur studieren wollen: Nimm https://www.archdaily.com. Und für alle, denen es um Design geht: Sucht eine ähnliche Startseite als Quelle und schickt uns den Link ;-)

Kunstgeschichte. Ein grober Überblick über die Kunst- (Design-, Architektur-) geschichte kann nicht schaden. In welchen Traditionen steht die eigene Arbeit? Wer hat – vielleicht schon vor langer Zeit – ähnliches gemacht und vielleicht schon ähnliche Fragen bearbeitet? Schau durch stilgeschichtliche Überblickswerke (Bücher, ggf. DVDs). Informiere Dich insbesondere (aber nicht nur) über die Zeit vom späten 19. Jahrhundert bis heute. Einen groben (und nicht ausreichenden) Überblick zum Einstieg findest Du auch in der Mediathek des Bayrischen Rundfunks/ARD Alpha > Stil-Epochen:
Die Geschichte der Kunst.

Die Beschäftigung mit dem, was andere machen und gemacht haben soll auf keinen Fall Deine Hauptbeschäftigung werden. Das Wichtigste ist Deine eigene Arbeit! Sich in der Kunst-, bzw. Design- oder Architekturgeschichte etwas auszukennen, erfüllt jedoch wichtige Funktionen:

  • Zu sehen, was andere machen, ist oft sehr inspirierend für die eigene Arbeit.
  • Du findest vielleicht „Geistesverwandte“ oder auch Positionen, von denen Du Dich bewusst abgrenzen möchtest.
  • Bei einem Bewerbungsgespräch bist Du bei Bedarf argumentativ flexibler, kannst Vergleiche ziehen und demonstrieren, dass Du Dich für die Kunstwelt interessierst.

8. Links

Sehr umfangreiche Sammlung von Tipps bei wikibooks, allerdings z.T. mit Vorsicht zu genießen.

Vor allem für InteressentInnen an einem Designstudium: Forum für Studierende und BewerberInnen mit Beispielen erfolgreicher Mappen aus Deutschland: precore.net

In eigner Sache: Gemeinsam mit meiner Kollegin Claudia Antonius berate ich angehende BewerberInnen im Rahmen eines Online-Cochings zur Mappenvorbereitung und Studienorientierung.


Alle Empfehlungen in diesem Beitrag basieren auf Erfahrungswerten und persönlichen Einschätzungen des Autors. Dieser übernimmt keine Garantie für die jeweilige Anwendbarkeit im konkreten Einzelfall. Sich gut bei der gewünschten Hochschule über den eigenen Studienzweig zu informieren ist unabdingbar!

Das Coverbild zeigt eine erfolgreiche Bewerbungsmappe (Beeldende Kunst, Rietveld Academie, Amsterdam) einer Teilnehmerin des Mappencoachings der Zeichenfabrik.