André Breinbauer - Von Cthulhu zu Medusa & Perseus
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich im November 2017, als André Breinbauer unsere Comic-Klasse leitete. Wir haben den Beitrag am Ende um ein Update zu seinen aktuellen Erfolgen als Graphic-Novel-Autor ergänzt.
… André Breinbauer und die Zeichenfabrik: Wir lieben Comics! Mit Witz und Humor, Schärfe und Horror. Wien als Bühne der Popkultur: 2015 fand erstmals die Vienna Comic Con (VIECC) statt, die bereits kurz nach ihrer Ankündigung ausverkauft war. Mit wachsender Beliebtheit versammeln sich Geeks und Nerds zum Tauschen, Sammeln, Kaufen, Verkaufen und mehr: beispielsweise im Rahmen von Vienna Comix zum Cosplay oder um über Geschichten und Storylines zu diskutieren.
Der Comiczeichner
Der Comic-Kurs bei André Breinbauer ist seit vielen Semestern ein fixer und populärer Bestandteil des Kursprogramms der Zeichenfabrik. Panels, Storyboard, Tuschezeichnungen? Wer seinen Kurs absolviert, nimmt nicht nur eine eigene Comic-Anthologie mit, sondern hat Geschichten erzählt und Geschichte erlernt.

Wer bei uns nach Comics sucht, findet André. Seine Grafiken und Illustrationen zeigen handwerkliche Raffinesse und Liebe zum Detail. Jede Geschichte hat ein Gesicht, einen Ausdruck, findet ein Lächeln, ist düster oder gruselig. Aber Angst haben wir keine! Wir sind begeistert vom zeichnerischen Spuk, der hinter dem Echo des Wahnsinns lauert.
André wurde 1973 in der Grenzstadt Passau geboren und absolvierte zunächst das Studium für Grafik-Design mit dem Schwerpunkt Illustration an der Kunstakademie in Nürnberg. Nun lebt und arbeitet er in Wien, ist freischaffender Illustrator und Comiczeichner.
Der erste Comic
Ob als Fan von H.P. Lovecraft oder Sammler von Comics – André hat beides: den kommerziellen Zugang und den Liebhaber-Blick. Mit Engagement, Leidenschaft und einem Hut wandert er witzig durch die Comic-Szene. Viele wissen bereits, dass das erzählerische Zeichnen schon seit Jahrhunderten praktiziert wird, ob als Wandteppich oder Höhlenmalerei – aber wann oder wodurch wird ein Bild zum Comic? Und was war überhaupt der erste Comic? Hier gehen die Meinungen auseinander: Manche sagen, Albrechts Dürers Apokalypse wäre die Urform des Comics. Nicht für André: Er geht von zwei Voraussetzungen aus, um von einem Comic sprechen zu können.
"Meine Regeln sind nicht viele: erstens muss es gedruckt sein und zweitens in einer sequenziellen Abfolge dargestellt sein."
Ergo gibt es nur zwei europäische Ur-Comics: Entweder Rodolphe Toepffers Zeitungscomics oder William Buschs Max und Moritz. Und was denkt ihr? Hinterlasst uns einen Kommentar!
Anekdote vom Bahnhofskiosk
Erst viele Jahre nach Toepffer und Busch erschloss die europäische Comic-Tradition eine popkulturelle Breitenwirkung. André ist schon in jungen Jahren auf Comics gestoßen. Erstkontakt: Wo, fragen wir, kommt ein 5-jähriger im Jahr 1977 an Comics?
"Ich habe bereits Comics gelesen, als ich noch nicht einmal lesen konnte. Jetzt ist der Markt voll mit Kinderbüchern und Comics, früher war das nicht so. Beim Ausflug zum Bahnhof durfte sich jeder etwas aussuchen: Der Vater kaufte eine Zeitung, die Mutter eine Zeitschrift und als Kind will man halt auch was… Davor hatten mir meine Eltern bereits einige bebilderte Heftchen mitgebracht, Asterix und Obelix, Donald Duck. Später habe ich mich dann in die Erwachsenenabteilung geschlichen und war fasziniert! Dort bin ich auf die Comicadaption von Alien gestoßen – und meine Eltern haben es mir nach kurzem Durchblättern erlaubt. Schon allein das Titelbild mit dem Auge … damit hat es wohl angefangen."
Zwei Jahre später brachte sein Vater einen Film mit von der Videothek: Ridley Scotts Alien. Vom Science Fiction Film, den seine Eltern am Abend sahen, war der heimliche Beobachter geschockt: Die Darstellung im Film war viel drastischer und brutaler, als im bunten Comic. Ab diesem Zeitpunkt hat André den Alien-Comic gemieden – seine Liebe zu „gezeichneten Bildfolgen“ aber war geweckt und vielleicht hatte sein späterer Hang zu Gruselwelten hier ihren Ursprung.
Die abstrahierte Welt des Comics von der Realität zu unterscheiden, bereitete ihm als Kind keine Probleme. Abseits von überspitzten, brutalen oder schaurigen Darstellungen hat André bereits früh erkannt, dass die Kraft des Comics auch in dessen Einfachheit liegen kann: nur durch Strichmännchen Geschichten erzählen und Wahrheiten zum Ausdruck bringen.

Liebe auf Panels
Wenn er gelegentlich über das Konservative in der Community zetert, dann in einem schelmischen, lustigen Ton: »Die wollen gute Zeichnungen, meckern am Augenabstand oder an der Nase herum.« Comics sind auch Handwerk. Sie erfordern viel Praxis und Ausdauer, benötigen im Vorfeld Konzepte und Ideen. André zeichnet, collagiert, schreibt oder recherchiert unerschöpflich weiter. Seine Grafiken haben einen starken Wiedererkennungswert. Seine Geschichten zu lesen ist fast wie mündlichen Erzählungen zu lauschen.
Selten war der Begriff Schreibtischlandschaft treffender: Charaktere, Studien und Kurzgeschichten stapeln sich auf seinem Arbeitsplatz zu landschaftsartigen Gebilden. Daraus formieren sich Beiträge für Anthologien und kleine Auftrags-Comics, die Plakatgestaltung des Slash-Filmfestivals, ein Projekt über die Translation von chinesischen und deutschen Märchen und vieles mehr: André macht unterschiedliche Dinge, die alle durch die Zeichnung als rotem Faden verbunden sind.
Geheime Projekte (damals)
Gleichzeitig alt wie die Menschheit selbst und doch top-aktuell, dabei im steten Wandel begriffen: Mythen sind ein Gefäß für Tausende von Jahren Kultur und Geschichte. Neben seinen verschiedenen Tätigkeiten ist die Bearbeitung dieses Themas ein geradezu uferloses Projekt von André, bislang unveröffentlicht und im Detail noch geheim: Der Reiz mythologischer Figuren und ihr phantastisches Potenzial, Medusa und ihre Schwestern Stheno und Euryale, die Graien Pemphredo, Enyo und Deino … Wie sind diese und viele weitere Figuren miteinander verstrickt? Welche aufschlussreiche Geschichten werden enthüllt? Verschiedene Überlieferungen, verschiedene Handlungen!
"Geschichten sind selten neu, sie werden nur neu erzählt. Ein bekanntes Beispiel ist Star Wars: Alte Geschichten und Legenden wurden neu zusammengebastelt, um bestimmte Zutaten ergänzt und schön angerichtet. So einfach ist es natürlich nicht, aber das Schema ist immer dasselbe. Und das habe ich ausprobiert! Die griechische Mythologie erzähle ich nach meinen Regeln und wie ich sie wahrnehme. Dabei fällt mir auf, dass die Motive oft komisch oder absurd sind. Ich denke da etwa an Hera, Aphrodite und Athene, die sich darum streiten, wer die Schönste ist, und an Paris, der eine Entscheidung treffen soll und dadurch den trojanischen Krieg auslöst."

"Es gibt verschiedene Quellen, Autoren, Philosophen. Jeder stellt die Figuren anders dar, schmückt sie in der einen oder anderen Weise aus, je nachdem worauf Wert gelegt und was erzählt werden möchte. Dadurch ist auch die Geschichte immer anders. Die unterschiedlichen Interpretationen fand ich interessant und da ich jetzt so viele Quellen kenne, sehe ich deutlich die Veränderungen der Geschichten und die Transformationen der Figuren im Lauf der Jahrhunderte."
Auch André schreibt die Geschichten nicht neu, hat aber eine spezielle Herangehensweise. Die Überlieferungen ergänzt er um eine persönliche Perspektive, legt mitunter den Fokus auf Nebengeschichten, entmystifiziert Götter und hat auch sonst einige Tricks auf Lager: der Aha-Effekt, wenn bekannte Mythen plötzlich völlig anders aussehen, ist bemerkenswert! Wir freuen uns schon darauf, wenn der Comic veröffentlicht wird und wir die Abenteuer von Paris und Helena, von Perseus und den Gorgonen neu erleben dürfen!
> Links: Interview im MAK-Blog und mehr in Andrés Blog
Update: Der Durchbruch mit Medusa & Perseus
Was im Interview 2017 noch als „geheimes Projekt“ angekündigt wurde, ist inzwischen ein gefeiertes Werk: Mit seiner Graphic Novel „Medusa und Perseus“ (erschienen im Carlsen Verlag) hat André Breinbauer ein beeindruckendes Debüt vorgelegt, das es bis ins Finale des Comicbuchpreises 2021 der Berthold Leibinger Stiftung schaffte.
Ein Wende-Comic
Das Besondere an dem Buch ist nicht nur das Format (es kann von zwei Seiten gelesen werden, bis sich die Protagonisten in der Mitte treffen), sondern die radikal neue Perspektive. War Medusa ein Monster? War Perseus ein Held? André erzählt den Mythos feministisch neu: Medusa ist kein Ungeheuer aus Bosheit, sondern ein zweifaches Opfer der Götter.
Sneak Peek: Blutsauger
Auch aktuell steht André nicht still. Für April 2026 ist bereits das nächste Werk bei Carlsen Comics angekündigt: „Blutsauger“, eine Graphic Novel über Vampire. Über 240 Seiten sind bereits geinkt und koloriert – wir sind gespannt!
„Medusa und Perseus“ ist überall erhältlich. Wir empfehlen den Kauf bei der Wiener Spezialbuchhandlung Pictopia Comics: Zum Online-Shop.
Die „neunte Kunstform“ lebt! Wenn du lernen möchtest, wie man Storyboards entwickelt, Charaktere entwirft und mit Tusche inkt, findest du bei uns das passende Angebot – vom Einsteiger-Workshop bis zur Intensivwoche.
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