Betonteddies, Erinnerungsmodelle und Bewerbungsmappen

Ein Interview mit Jörg Jozwiak

Anne: Jörg, ich hab deine Website studiert und zweierlei festgestellt: Du machst Konzeptkunst und du arbeitest mit Humor! Ist das theoretische Konzept der Hauptteil deiner Arbeit oder wie gehst du vor?

Jörg: Es steht keine spezielle Systematik dahinter: es ist eher so, dass ich warte, bis mir etwas einfällt - oft ist es kurz vor dem Einschlafen der Fall oder es ist irgendeine Beobachtung im Alltag. Einmal war es eine Fliege, die rund um die Wohnzimmerlampe kreiste und ich dachte mir: Was für ein ineteresantes Phänomen - da müsste man mal was machen... und dann entstand eine Arbeit dazu. Zuerst gibt es fast immer eine vage Idee, dann kommt eine konzeptuelle Phase, wo ich mir überlege, welches Medium und welche visuelle Form passen könnte. Dann kommt oft eine experimentelle Phase, die solange dauert, bis das Werk stimmig ist.

A: Du hast scheinbar große Freude am Experimentieren und ich schließe daraus, dass du eine große Bandbreite an verschiedenen Techniken kennst oder zumindest mal ausprobiert hast.

J: Ja, entweder lernen oder die Technik dazu kaufen oder Leute finden, die etwas können, was ich gerade benötige. Ich musste zum Beispiel mal ein kleines Computerprogramm erstellen lassen. So was mache ich dann natürlich nicht selbst.

A: Du arbeitest mit Claudia Antonius, einer vielseitigen Künstlerin zusammen - wie teilt ihr euch die Arbeit auf? Wie geht ihr mit Konkurrenz um oder ist das bei euch kein Thema?

J: Wir teilen uns eine Wohnung und wir machen gemeinsam Kunst. Jeder von uns macht auch eigene Projekte. Wo es Schnittmengen gibt, arbeiten wir im Team – wie bei der Arbeit mit den Fliegen, zum Beispiel. Konkurrenz ist bei uns kein Thema, wir ergänzen einander wunderbar.

Betonteddies in New  Brighton

A: Von deinen Arbeiten hat mir besonders gut die mit den Beton-Teddies gefallen, die an der englischen Küste stehen. Der Gegensatz zwischen dem Badestrand und den Teddies, die auch noch aus Beton sind - das ist großartig!

J: Das ist eine Arbeit aus meinen Studienjahren in Liverpool. Da taucht immer die Frage auf: Gibt man Arbeiten aus dem Studium ins Portfolio hinein? Man ist irgendwann professionalisiert und viele, die ich kenne, würden das nicht verwenden. Aber mit dieser Arbeit bin ich nach wie vor zufrieden. Die Arbeit entstand in New Brighton, ein Badeort, der in den späten 90ern sehr trostlos war. Da gab es noch eine Promenade, wo ein Bus entlang fährt, ein paar Spielhöllen und einen Fish & Chips-Laden. Die irische See war sehr schmutzig, voller Abwässer und ich dachte mir: Dieses Kindliche, Unbeschwerte, das mit dem Badestrand assoziiert wird, muss ich irgendwie bearbeiten. Womit kann ich das machen? Da eignen sich Plüschtiere wirklich gut. Die weitergehende Überlegung war: Wie macht man einen Teddy nicht mehr niedlich, passend zur Trostlosigkeit diesen Ortes? Ihn in Beton zu gießen schien da zielführend. Leider war diese Installation nicht von Dauer, es gab keine offizielle Genehmigung. Ich habe dann alles wieder mitgenommen.

A: Du hast dein PhD am Goldsmith-College geschrieben, hast du ein zweites Mal in England studiert?

J: Ich war von 1997 bis 1999 an der Liverpool Art School, dann hab ich von 2007 bis 2014 vor allem von Berlin und Wien aus als eine Art Fern-Doktorand am Goldsmith College studiert.

A: Der Titel deiner Arbeit dreht sich um die Bedeutung von Kunst für den Betrachter, wenn ich das richtig verstanden habe. Kannst du uns das ein bisschen zusammenfassen?

J: Man muss zuerst unterscheiden: Publikum und KünstlerIn schieben sich diese Frage gegenseitig zu. Der Betrachter sagt zum Künstler: „Erklär mir, was Dein Werk bedeuten soll!“ Der Künstler sagt: „Ich habe das Werk ja nur gemacht, für die Bedeutungsgebung bist Du zuständig!“ Daraus ergibt sich ein Bedeutungsvakuum. Wenn ich sage, das und das bedeutet etwas, bin ich in einer Machtposition, beanspruche die Deutungshoheit. Wer entscheidet, was Bedeutung ist? Weiters ist jede Beschreibung von Bedeutung in der Sprache gefangen. Das ist gerade bei visueller Kunst schwierig und wir können oftmals den Mehrwert eines Kunstwerkes nicht in Sprache fassen. Und dadurch, dass wir das nicht können, ist Bedeutung hinfällig, kann man argumentieren. Ich hab dann letztendlich argumentiert, dass die Bedeutung eines Kunstwerks in einer Art Dreieck zu suchen ist: Zwischen konventioneller Symbolik (ein Kreuz, beispielsweise, hat in unserer Kultur nunmal eine bestimmte Konnotation), individueller Interpretation und persönlicher Wertigkeit. Ich finde interessant, dass beides im Wort Bedeutung gefangen ist: Die Bedeutung von etwas und Bedeutung für jemanden.

A: Hast du die Rolle der Kunstkritiker und -vermittler, die ja maßgeblich an der Deutung mitwirken, in diese Fragestellung einbezogen?

J: Die habe ich dem institutionellen Umfeld zugeordnet, das, wie auch die umgebende Architektur und andere Teile des Präsentationskontexts, dazu beitragen kann, Bedeutung zu suggerieren. Bei der Kunstkritik geht es aber oft auch besonders um die Wertigkeit oder die Beschreibung eines Werks im Kontext: Wo gibt es Verbindungen zu anderen Kunstwerken, zur Kunstgeschichte, zur Politik, zur Philosophie, sodass vielfältige Verbindungen zu anderen Denkblasen geschaffen werden.

A: Wichtig ist, wie das geschrieben ist: Das Magazin „artist“ liest sich gut und verständlich, da tun sich Welten auf! Aber dann gibt es „Die Springerin“, ein hoch angesehenes Magazin, darin schreiben sie so, dass ich als Leserin, die sich im Kunstkontext auskennt, dennoch das Gefühl habe, dumm zu sein.

J: Wenn man sich mit einer Materie intensiv beschäftigt, egal welche, kann es schon passieren, dass man sich ein Vokabular und eine Denkweise aneignet, das immer spezieller und spezialisierter und auch präziser wird. Insofern kann man über Kunst sagen, das ist eine sehr komplexe Materie, die teilweise auch durch ein komplexes Vokabular am besten diskutiert werden kann und es steht ja jedem offen, sich einzulesen, um mitdiskutieren zu können. Andererseits macht es vielen AutorInnen auch offensichtlich Spaß, ihr intellektuelles Vokabular um seiner selbst willen zum Besten zu geben, das nervt schon! Ich hab da auch keine finale Antwort, ich hab sehr komplexe philosophische Texte gelesen, wo man sich durchbeißen muss, und ich hab mir nachher gedacht, toll, das war wirklich bereichernd!

Modellbau

A: Sehr gut gefällt mir dein Projekt über den Modellbau als persönliche Erinnerung an die eigene Herkunft. Was war die Idee dahinter und ist es noch in Arbeit?

J: Das Projekt ist im Moment noch ein privates Forschungsprojekt, ich baue gerade mein eigenes Kinderzimmer in Miniatur nach. Ich lese auch viel über die Philosophie und Praxis des Modells, über den Begriff der Heimat und des Zuhauses und über Erinnerungsforschung. Ich habe Studien dazu gelesen, die behaupten, dass 50 % unserer Erinnerung wahrscheinlich falsch sind.
Vieles ergibt sich daraus, was uns andere Menschen erzählt haben, welche Bilder wir gesehen haben, welche Werte in einer Gesellschaft vorherrschen und wie man selbst die eigene Vergangenheit gerne sieht..Werde ich, wenn ich mein Kinderzimmer nachbaue, das Chaos und das ganze Spielzeug, das herumlag, mit darstellen oder will ich es lieber aufgeräumt präsentieren? Zu der Idee, nach der Du gefragt hast, gehört aber auch, dass der Qualitätsmaßstab für Modelle meistens ihre „Übereinstimmung mit der Wirklichkeit“ ist. Das Architekturmodell zeigt, wie ein Gebäude wirklich aussieht oder aussehen soll, das gebastelte Modell vom alten Segelschiff soll zeigen wie dieses „in echt“ beschaffen war, etc... Modelle aus der Erinnerung, mit deren ganzer Subjektivität und Fehlerhaftigkeit, sind etwas ganz anderes. Da geht sozusagen um ein neues „Modell des Modells“...

Mappenkurs

A: Ganz was anderes: Du hast ja eine total hohe Erfolgsquote, was den Anteil an KursteilnehmerInnen betrifft, die dann an einer Kunsthochschule angenommen werden, wie machst du das?

J: Einerseits sage ich Dir ganz unbescheiden - das Konzept des Kurses funktioniert. Ich erforsche mit den TeilnehmerInnen, was ihre persönlichen Medien, Methoden und Themen sind, was ihnen auffällt in unserer Welt und womit sie zielführend experimentieren können. Das bringt die Authentizität, die eine erfolgreiche Mappe ausmacht. Andererseits reichen aber auch bei weitem nicht alle TeilnehmerInnen des Mappencoaching – Kurses tatsächlich eine Bewerbung ein. Viele stellen fest – und das ist auch ein wichtiges Ergebnis des Kurses – dass sie mehr Zeit brauchen oder dass ein Kunst- oder Designstudium doch nicht ideal für sie ist. Einige kommen ja auch, um gerade das heraus zu finden. Aber ja – von denjenigen, die dann einreichen, wurden in der Vergangenheit zum Glück auch die meisten genommen.

A: Das sage ich meinen TeilnehmerInnen vom Jugendkurs auch, dass das ein Anstoß ist und man schon selber weitere Blätter machen muss, um das Wissen zu vertiefen.

J: Bei den Jugendkursen ist die Klientel natürlich eine andere, da geht es mir so wie Dir. Die Jugendlichen wollen zwar auch oft eine Mappe machen – halt nicht für eine Uni sondern meist für ein künstlerisch orientiertes Gymnasium – aber der Anspruch ist da noch mehr als bei den Erwachsenen, dass gleichzeitig darstellerische Fähigkeiten geschult werden sollen und bewerbungstaugliche Ergebnisse entstehen sollen.

A: Gibt es etwas, was du von deinen Kursteilnehmern für deine eigene Arbeit gewinnst?

J: Auf jeden Fall! Eine Teilnehmerin hat beispielsweise mal ihr Kinderzimmer aus Ton nachgebaut und dann das Modell immer wieder verändert um einen Stop-Motion Film zu machen. Das war für mein Modellbauthema natürlich sehr interessant!

A: Gut, dass Unterrichten keine Einbahnstraße ist! Vielen Dank für das Gespräch!

J: Gerne!

Jörg Jozwiak, 1972 * in Bremen. Studium der Malerei, Bildhauerei und konzeptuellen Kunst; Abschluss an der Kunstakademie Düsseldorf als Meisterschüler 2003. Promoviert in Kunst am Goldsmiths College, London, 2014. Freischaffender Künstler seit 2003, Lehrer und Dozent für Kunst in Berlin und Wien seit 2004.