Claudia Antonius, Roommates

Über Hintersinn und Intersinn im Schaffen von Claudia Antonius

Wir sitzen in der Küche des gemütlichen Wohnateliers von Claudia Antonius und plaudern.

Woran arbeitest du gerade?

An Arche. Ich arbeite mit der Arche Noah zusammen, einer Organisation, die sich für den Erhalt und die Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt einsetzt. Dafür portraitiere ich alte Obst- und Gemüsesorten in altmeisterlicher Art. Meine Künstlerkollegin Nina Ripbauer und ich werden unsere Bilder dort dieses Jahr zum Erntedankfest ausstellen, die Vernissage findet am 4. Oktober 2019 statt. Das Ambiente ist wunderbar – ein inspirierender, paradiesischer Garten, in dem unzählige Samen ausgesät und geerntet werden.

Auch in deinen Landschaften findet man die Liebe zur Natur. Aus der Ferne denkt man an Fotodrucke, dann kommt man näher und sieht „Öl, whau...“. Welche Technik hast du verwendet?

Ich habe lasierend mit Öl auf MDF-Platten gemalt. Das erfordert viel Zeit, weil jede Schicht trocknen muss, bevor die nächste kommt. Die Bilder zeigen wenig Landschaft und viel Himmel. Ich mag diese Art der Malerei. So habe ich auch bei meiner letzten Serie, Abstraction Trouvé, gearbeitet.

Abb. 2: Abstraction Trouvé
Claudia Antonius, Form Followed Function

Anfang der 2000er Jahre hast du Stillleben im Großformat auf Leinwand ausgeführt – ich denke an die riesigen Blumenbouquets der Serie „Eliza“, benannt nach dem Blumenmädchen in My Fair Lady. Wieso dieses extreme Format?

Damals habe ich mich gefragt, was passiert, wenn man dieses – klassischerweise eher kleinformatigere Sujet aufbläst. Wie ist es, wenn das Bildthema nun ein Monumemtalformat einfordert. Passiert da was? Wie wirkt das auf die BetrachterInnen? Auch galt das Blumenstillleben lange Zeit als Sujet für weibliche Kunstschaffende, die sich mehr oder weniger freiwillig damit beschäftigten.

Abb. 3: Eliza
Claudia Antonius, Eliza

Als Jörg Jozwiak, Claudias Künstlerkollege und Mitbewohner, die Küche betritt, ergibt sich die Gelegenheit ein paar Fragen über das gemeinschaftliche, künstlerische Schaffen zu stellen. Claudia und Jörg haben sich in Düsseldorf kennengelernt und empfinden das Arbeiten als Künstlerteam bereichernd. Nicht nur aufgrund der Ideen, die sie entwickeln und gemeinsam weitertreiben können, sondern auch wegen der Möglichkeit zur Arbeitsteilung: Jörg erledigt gerne die Nacharbeit und pflegt die Website, Claudia macht lieber Bewerbungen.

Die Projekte, die ihr miteinander macht, laufen unter dem Namen Institut für Intersinnforschung – was genau ist damit gemeint?

Wir haben ein Wort gesucht für das Absurde und Lustige, aber auch für Doppelbödigkeit, Hintersinnigkeit. Im September 2018 haben wir bei einem Festival auf der Isle of Portland in England für eine Woche einen Nationalpark errichtet (Claudia zeigt ein großes Schild in Form eines Pfeils mit der Aufschrift „Easton Ridge National Park“.). Auf der Insel wird seit Jahrhunderten Stein abgebaut. Das Gelände unseres Nationalparks war ein Teil eines Stein-Schutthaufens aus den 1930er Jahren. Während der Woche des Festivals haben wir Führungen angeboten. Da wir jedoch keine BiologInnen sind, haben wir uns entschlossen, nicht über Fauna und Flora zu sprechen. Wir haben stattdessen unser Werk besprochen; die Fragen, die bei der Konzeption und Umsetzung der Arbeit aufgetaucht sind. Für Jörg war zum Beispiel die unerwartete Begegnung ein Hauptthema: Nichts ahnende SpaziergängerInnen, die ihren Hund Gassi führen, finden sich überraschend in einem Nationalpark wieder, der gestern noch nicht da war. Was löst das in ihnen aus? Für mich war es vor allem der Versuch, auf Details, auf die Schönheit von Unscheinbarem aufmerksam zu machen. Auch waren die Gewächse inner- und außerhalb des Parks dieselben. Warum sind die einen schützenswert, die anderen aber nicht? Wer entscheidet das?

Ihr wart vorletztes Jahr in der Schweiz und habt gemeinsam mit den BewohnerInnen von Solothurn eine Telenovela entwickelt: Solo-Novela. Was hat es damit auf sich?

Wir waren bei den Tagen ephemerer Kunst eingeladen. Auf einem der großen Plätze der Stadt haben wir mit Kreide „Viktor und Ursula“ auf den Boden geschrieben – in Anspielung an die Stadtheiligen Urs und Viktor. Dann haben wir PassantInnen gebeten, uns bei der Geschichte zu helfen: Wer könnten die beiden sein? Was machen sie? Welche anderen Personen spielen noch mit? In Form einer Mind-Map haben wir alles auf den Boden geschrieben. Die Reaktionen der Leute waren toll und viele waren mit unglaublichem Eifer dabei. Passenderweise hat es am nächsten Tag geregnet und die ephemere Kunst wurde weggewaschen.

In deiner Arbeit sind aber auch Naturwissenschaft und Biologie Thema: Du hast Käfer und Würmer erfunden und sie in fiktiv- wissenschaftlichen Schriften festgehalten.

Ja, auch hier war die Hintersinnigkeit eins der Themen: Ich habe erfundene/entwickelte Tiere versucht, wissenschaftlich zu klassifizieren.

Gemeinsam mit Jörg hast du dich mit Stubenfliegen beschäftigt: Was hat das Experiment Roommates ergeben?

Kennst du das, wenn eine Fliege stundenlang unter der Zimmerlampe kreist? Ich habe mich immer gefragt: Was macht sie da? Misst sie etwas aus? Sucht sie etwas? Jörg hat die Fliege von unten gefilmt. Mit Hilfe des Beamers haben wir den Film sehr stark verlangsamt projiziert und ich habe die Bahn der Fliege nachgezeichnet. Je mehr Flugbahnen nachgezogen sind, desto dunkler wird die Zeichnung, desto eher verliert man die Fliege. Manchmal fliegt sie außerhalb des Blattes, kommt wieder und kreist weiter (Abb. s. Titelbild).

Du unterrichtest an der Zeichenfabrik verschiedene Kurse, z. B. Vergolden. Was passiert in diesem Kurs?

Ich stelle verschiedene Techniken vor, wie man mit Blattgold arbeiten kann, so zum Beispiel die Ölvergoldung. Wir arbeiten jedoch mit Blattmessing, sogenanntem Schlagmetall. Das ist einfacher zu handhaben. Es soll ja nur ein erstes Kennenlernen des Materials sein – es ist ein Wochenendworkshop.

Du bietest auch Zeichenkurse an. Wo liegt da dein Schwerpunkt?

Mir ist aufgefallen, dass die meisten Zeichnenden immer das Hirn – das alles genau weiß – eingeschaltet haben. Dem Auge wird nicht vertraut – es wird nicht einfach akzeptiert, was da ist. Mit verschiedenen zeichnerischen Übungen versuche ich, das Hirn „zu umgehen“. Eng damit verbunden ist die Beobachtung, dass viele KursteilnehmerInnen oft auf der Suche nach einem eigenen Ausdruck sind. Manche sind auch in einer Richtung festgefahren. Ich ermuntere sie dazu, etwas auszuprobieren und zu riskieren.

Danke für das Interview.

Sehr gerne, danke dir.

Links:
Claudia Antonius Kurse
Website von Claudia Antonius
Institut für Intersinnforschung